Zu Hitlers ersten Opfern gehört 1933 der Journalist Fritz Gerlich,
der ihm wie kaum ein anderer die Stirn geboten hat.
Von Joachim Käppner
Am Ende hat er verloren, den Preis des Muts gezahlt. Er wurde mit der einzigen Waffe besiegt, die seine Gegner besser beherrschten: Gewalt. Im März 1933 stürmt ein Schlägertrupp der SA das Büro der Zeitung „Der gerade Weg", verwüstet die Einrichtung und geht auf den Chefredakteur los. Und ausgerechnet er, der den Nazis alles Finstere zugetraut hat, kann es nicht fassen und schleudert den SA-Leuten entgegen: „Mich schlagen! Mich! Einen Gründer der Vaterlandsbewegung!"
Fritz Gerlich wird schwer misshandelt und ins Polizeigefängnis gebracht. Dort hockt er in einer Zelle mit blutenden Wunden. Er wird die Freiheit niemals wiedersehen. Fritz Gerlich, geboren 1883, ist ein mutiger Mann. Er, einst nationalkonservativ, hat in der Weimarer Zeit den Mut, seine Überzeugung zu wechseln, er ist ein Konvertit im doppelten Sinn: zum Katholizismus und zur Demokratie. Einst Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, dem Vorgänger der Süddeutschen Zeitung, leitet er von 1930 an das christliche Blatt, das von 1931 an „Der gerade Weg" heißt und die Extreme, Nazis und Kommunisten, bekämpfen will.
Gerlich lässt sich nicht einschüchtern. Er ist ein Meister des wuchtigen Worts: „Nationalsozialismus heißt: Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, Völkerkrieg, Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not." Er ist, so Christoph Renzikowski vom Bayerischen Presseclub, der sich für das Andenken des Publizisten einsetzt, „ein streitbarer Mann, ein Feuerkopf und Eiferer, beileibe kein Heiliger".
Gerlich, der Konservative, scheint etwas zu spüren, was viele nur ahnen und noch mehr gar nicht wissen wollen: Dass die NSDAP mehr ist als ein Verein von verkrachten Existenzen und rechtsradikalen Bierdimpfeln, bei dem man sich nur wundern kann, warum diesen bizarren Gestalten so viele Münchner nachlaufen. Er spürt das Triebhafte, das Böse, den Willen zur Vernichtung. Die obszönen Morddrohungen, die ihm anonyme Nazis schicken, druckt er ab. Er hält den Absendern den Spiegel vor, in dem sie die Fratze moralischer Verwahrlosung sehen: „Wir werden an Ihnen ein besonderes Exempel statuieren, indem wir einen Scheiterhaufen mit allen Christusfiguren, jenem Christus, der von einer jüdischen Hure geboren wurde, errichten, worauf Sie nebst dem Pfaffengesindel geschmort werden."
Die Barbarei hat ihr Gesicht schon gezeigt, bevor sie die Macht hatte, Aber die wenigsten wollten das nachher gesehen haben. Sie hätten es sehen können. Es gab Menschen wie Fritz Gerlich, die das Volk warnten. Am 30. Juli 1934, während des „Röhm-Putsches", ließ Hitler in einer Racheorgie zahlreiche Menschen ermorden, unter ihnen Fritz Gerlich. Er wurde aus der Stadelheimer Zelle ins Konzentrationslager Dachau gebracht und sofort erschossen. An ihn erinnert eine Bronzetafel am Verlagseingang der Süddeutschen Zeitung, an dem Ort, wo er sein Büro hatte, den Ort eines immer einsamer werdenden Kampfes.
(Süddeutsche Zeitung Nr. 64, Samstag/Sonntag, 15./16. März 2008, Seite 56)